Wenn ich heute manchmal in der Zeit zurückgehe und meine Erinnerungen Revue passieren lasse, ist es das Einzige was über all die Jahre gleich blieb. Ich war schon immer eine Au�enseiterin - von Geburt an. Eigentlich, fing alles schon einige Zeit vor meiner Geburt an, und zwar mit meiner Mutter Helene. Sie war in der Nachkriegszeit, noch eine sehr junge Frau. Sie war schlank und hübsch, mit dichten schwarzen Haaren und schönen, graugrünen Augen. Die wenigen jungen Männer ihres Dorfes die das Glück hatten, den Krieg überlebt zu haben, drehten sich gern nach ihr um. Sie wohnte mit ihren Eltern und der älteren Schwester zusammen in einem winzigen Fachwerkhäuschen, in einem verschlafenen Dörfchen im Odenwald. Auch hier kamen viele der jungen Männer nicht aus dem Krieg zurück. Es herrschte Mangel an Männern im heiratsfähigen Alter. Und meine zukünftige Mutter, hatte für sich recht hochgesteckte Ziele. Sie war zudem sehr wählerisch, was das Aussehen des passenden Heiratskandidaten anbetraf. Darum kam es wie es kommen musste, sie verliebte sich in einen jungen, gut aussehenden Flüchtling aus Masuren. Herbert war ein stattlicher Mann. Mit seinen 1,90m überragte er alle Männer aus dem Dorf. Er war schlank und muskulös, hatte ein markantes Gesicht, mit blauen Augen und dichten dunklen Haaren. Leider wusste niemand etwas über seine Herkunft, seine Familie oder seine Schulbildung. Auch von Aufklärung und Verhütung war damals nicht die Rede. Meine Mutter war einundzwanzig und volljährig, aber sie wusste so gut wie nichts über Verhütung. So lie� sie sich auf eine Liebesbeziehung ein. Vielleicht trieb sie auch die Neugier, wie es bei jungen Menschen manchmal ist. Fatalerweise hatte ihre Verliebtheit aber sofort Folgen. Als das Unglück nicht mehr zu übersehen war, waren im Dorf alle peinlich berührt, am schlimmsten jedoch meine Mutter selbst. Die Fantasievolle, die immer von etwas Besserem und Höherem geträumt hatte, sollte nun als unverheiratete Frau, ein Kind von einem Fremden bekommen. Das war für sie und ihren Stolz undenkbar und ein harter Schlag. Sie war gebrochen. Schon kurz nach dem skandalösen "Fehltritt" entpuppte sich auch der gutaussehende Fremde als Versager. Ein au�ereheliches Kind von einem Versager, das bedeutete eine weitere Niederlage. Eine Abtreibung kam natürlich auch nicht in Frage. Dafür bestand keine Möglichkeit. Und so wurde im Juni 1948 in einem Odenwalddörfchen ein kleines Mädchen geboren. Dieses Mädchen war ich!