"Schlagartig durchzuckten Rother wieder Bilder vom tödlichen Unfall seines Freundes Kall: aufgerissenes Fleisch, Blut, verbogenes Blech, zerplatztes Glas, verdrehte Gliedmaßen, begleitet von Hupen, Quietschen, Krachen - Erinnerungen, die ihn mit solcher Wucht bedrängten, daß er in eine Bewußtlosigkeit fiel, die den Lärm absorbierte." So beginnt die Erzählung "Trauma" - selbst ihr Titel weist darauf hin, um was es sich handelt, nämlich um eine posttraumatische Belastungsstörung: ein Krankheitsbild, entstanden als eine verzögerte Reaktion auf ein Ereignis mit katastrophenartigem Ausmaß der oben erwähnte Unfall, bei dem der Protagonist, Rother, seinen Freund, Kall, auf grausame Weise verliert. Übrigens sind diese Namen einem kleinen Erzählzyklus von Walter Foelske entlehnt, und natürlich hat der auch Pate bei dieser Erzählung gestanden, so wie die Figuren Kall und Rother in seinen Erzählungen Synonyme für ihn und mich, seinen Freund, in der Wirklichkeit waren. Doch so eindeutig die Geschichte beginnt, so verworren bzw. verstörend fährt sie fort, wobei es keinen kontinuierlichen Erzählfaden gibt - vielmehr Flashbacks: aus der verdrängten Erinnerung hochgekommene Fragmente, Bilder, Bruchstücke, verzerrte Wahrnehmungen, die trotz aller Unklarheit sehr präzise geschildert werden und dem Leser Raum für eigene Assoziationen und Interpretationen lassen. So hängen etwa plötzlich Maden an ihren Seidenfäden von der Küchendecke herunter, taucht ein weißes Pferd auf, das brutal niedergemetzelt wird, begegnen ihm seltsame bis entsetzliche Dinge an seinem Arbeitsplatz als Pfleger in einem Behindertenwohnheim, entartet eine Konzertveranstaltung mit Kindern in der Musikhochschule zu einem wahren Horrortrip oder verliert sich Rother auf einer CSD-Parade in kuriose Betrachtungen - Bilder, die auch symbolisch für etwas anderes stehen: das Geheimnisvolle, das ihn umgibt, das Bedrohliche, in das er wie durch einen brüchigen doppelten Boden jederzeit einbrechen kann, die Sehnsucht nach Frieden und Geborgenheit in einem Paradiestraum, der jäh gestört wird oder in Alpträume umkippt. Diese Erzählung ist eine komplette und radikale Umarbeitung eines früheren Textes, in dem ich mich schon einmal mit dieser Thematik hellsichtig, aber unwissend beschäftigt - und sie damals nicht in den Griff bekommen habe. Jetzt, kurz nach Walters Tod, hat sie schlimme Aktualität für mich bekommen und mich veranlaßt, mich neben anderen Arbeiten, in denen ich mich damit auseinandersetze, neu mit ihr zu befassen: auf, wie ich glaube, besser gelungene Weise. So nah mir diese Erzählung, die ich dem Verstorbenen gewidmet habe, persönlich geht - hoffe ich, daß sie auch den geneigten Leser nicht unberührt läßt. R.K.