Im Februar 2008 wurde Bauernstaat, der dritte Teil der Europa Trilogie von Volker Lüdecke, an den Bühnen der Stadt Gera, Großes Haus, uraufgeführt. In der Komödie Bauernstaat werden die gesellschaftlichen Umbrüche der neunziger Jahre im Deutschland unter der Regierung von Helmut Kohl beschrieben. Das im Jahr 2000 vom Berliner Dramatiker Volker Lüdecke geschriebene und zuerst beim Verlag Felix Bloch Erben in Berlin veröffentlichte Theaterstück spannt einen Bogen von den Folgen des 2. Weltkriegs über die Bodenreform der DDR bis hin zu den Veränderungen durch die europäische Integration. Ein durch die Bodenreform enteigneter Bauernhof wird an die alte Besitzerin Lisa Bückwitz zurückerstattet, die nun ihren Sohn Ernst Bückwitz dazu auffordert, sich vom Koch einer Kantine schnurstracks in einen Landwirt zu verwandeln, um den Hof, der längst eine Ruine ist, doch noch zu retten. Bückwitz Frau Carmen würde jedoch lieber eine Weltreise unternehmen und seine Töchter Cornelia und Carola haben keinen Bock aufs Landleben.So bleiben in der Not nur alte Seilschaften zur Wiederinbetriebnahme des landwirtschaftlichen Betriebs. Einer Nachbarsfamilie scheint es in der Wendezeit recht gut zu gehen, was Bückwitz reges Interesse weckt, so dass er einen Grillabend im Garten der Familiendatsche organisiert, um zu erfahren, wie sein Nachbar Nitsch so prächtig von der Plan- in die Marktwirtschaft herüber gefunden hat. Die Familien sind auch privat verbandelt, wovon Ernst Bückwitz keine Ahnung hat. Jeder individuelle Traum der Familienmitglieder entfernt sich immer weiter vom ehemals kollektiven Wunschtraum zu einer Lebensplanung ohne gemeinsame Zukunft. Als sich Bückwitz schließlich für ein Leben auf dem Land entscheidet und auf den aberwitzigen Plan seines Nachbarn Nitsch vertraut, auf dem alten Hof eine Schweinemastanlage zu installieren, zerbröseln die beiden Familien im Zeitraffertempo. Die Fliehkräfte der individuellen freien Entscheidung zerren immer stärker an den ehemals ans Kollektive gewöhnten Bürgern der ehemals sozialistischen Gesellschaft. Die kurze Zeitspanne, um sich für ein neues Leben zu entscheiden, bringt dann auch noch die verschiedenen Generationen immer weiter auseinander, die Familienbande werden durch neue, digitale Technologien gesprengt. Das in den neunziger Jahren zur Massenkultur werdende digitale Zeitalter beginnt seine Wirkungen zu entfalten. Neben neuen Chancen zur Existenzgründung bieten sich dadurch immer mehr Möglichkeiten zum Eskapismus, um der eigenen tristen Lage zu entrinnen, bis hin zu einer umfassenden Verdrängung von Wirklichkeit. In diesem kontext tauchen Geschäftemacher aus dem Westen in der ostdeutschen Provinz auf und benehmen sich triumphierend wie historische Sieger. Das Wegbrechen von immer weiteren Normen und Gewissheiten lässt zunehmend ein Gefühl des Taumelns bei denjenigen entstehen, deren Zukunft altersbedingt in einem Europa der Zukunft im Ungewissen liegt. Sie sind fast am Ende ihrer Karrieren, aber der Staat, der dies bezeugen könnte, existiert nicht mehr. Die Figuren der Komödie Bauernstaat waten mit Trümmern von Ideologie im Kopf durch den Morast der deutschen Geschichte und ertragen deren Widrigkeiten mit einem kernigen Humor und bodenständigem Witz und Schläue. In den neunziger Jahren, einer legendären Zeit voller Chancen und zerbrochener Herzen.