Excerpt from Studien und Versuche Ã?ber Physiologische Elektrochemie

Seit mehr als funfzig Jahren bildet die Erforschung der elek trischen Erscheinungen an Organismen eine Lieblingsbeschäf tigung der Physiologen. Wenn gleichwohl seit Du bois-reymonds bahnbrechendem Werke über Thierische Elektricität die Fort schritte auf diesem stark bearbeiteten Spezialgebiete in keinem rechten Verhältniss zu der von so vielen scharfsinnigen Gelehrten aufgewendeten Mühe stehen, so liegt die Vermuthung nahe, dass allgemeine und methodische Fehler der Erkenntniss hinderlich ge wesen sind. Und in der That, alle Physiker, die physiologische Schriften lesen, sind erstaunt über die Nichtbeachtung der moder nen physikalisch-chemischen Methoden von Seiten der Biologen. Trotz aller Warnrufe der angesehensten Physiker, die seit jahren für die Weiterverbreitung ihrer Untersuchungsergebnisse agitiren, haben sich diese Verhältnisse bisher nicht merklich gebessert. Es hängt das mit dem Umstande zusammen, dass die meisten Physio logen und Pathologen eine einseitig medizinische Vorbildung ge nossen haben und sich durch Vernachlässigung des überaus wich tigen mathematischen Studiums der Möglichkeit berauben, den Arbeiten der Physiker, hier besonders der physiko-chemiker, zu folgen. So kommt es, dass die Biologen wohl die Errungenschaften der neueren Physik dem Namen nach kennen und auch gelegent lich darüber schreiben, ohne aber in das Wesen der neuen Be griffe eindringen zu können. Ostwald, der Altmeister der physi kalischen Chemie, sagte auf dem Naturforschertag in Lübeck vor einigen jahren: Selbst da, wo Einer sich mit einem einzelnen Zweig der modernen Forschung vertraut gemacht hat, strebt er vor Allem darnach, das Neue, so gut es geht, an das Vorhandene anzuschliessen. So wird der neue Gedanke gestört und, wenn auch nicht gerade verfälscht, so doch seiner Kraft beraubt. Gelegentlich der Besprechung von Neumeisters "physiologische Chemie in seiner "zeitschrift für physikalische Chemie sagt Ostwald, indem er die Unwissenheit der Physiologen in physikalischen Dingen bespricht, dass derjenige, der zuerst die Ergebnisse der neueren physikalischen Methoden in die Physiologie einführt, fur diese Wissenschaft ein zweiter Liebig sein wird. Van 't Hoff, der Begründer der Stereochemie und Pfadfinder der osmotischen Theorie, hat auf dem 18g8er Naturforschertag in Düsseldorf über die Wichtigkeit der Molekularphysik für die Physio logen Aehnliches dargelegt.

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