[d104 is in German] Im Kommentarteil von Bertolt Brechts Fatzer heisst es, der Gang Fatzers durch die Stadt Muelheim werde Wirklichkeit, auch wenn er nie geschehen sei, sobald er von genuegend viele[n], genuegend gute[n] Leute[n], die genuegend aufgeklaert sind, [...] als wahrhaftig erkannt" worden sei. Das Fragment weist so auf eine Geschichte derjenigen Taten hin, die haetten getan werden koennen. Es erscheint eine Vorstellung von Wirklichkeit, die die Grenzen zwischen Theater und den sozialen Verhaeltnissen, zwischen Fiktion und dem, was als real verstanden wird, bruechig macht, sie ineinander verschiebt (und zwar grundlegend anders als Versuche, das Authentische des wirklichen Lebens auch auf die Buehne zu bringen). Das Interesse an der Wirklichkeit der Taten, die haetten getan werden koennen (oder in der Gegenwart, der Zukunft getan werden koennten), fuehrt zur Frage nach dem Verhaeltnis von Theater und Wirklichkeit, die bei Brecht - und womoeglich auch fuer gegenwaertiges politisches Theater? - zugleich eine nach der Lehre ist: Wie und von welcher Wirklichkeit spricht Theater, welchen Raum des Lehrens/Lernens eroeffnet es und wirkt damit (vielleicht) auf Haltungen und Handlungen? Doch unsere Handlungen kommen von der Not" heisst es auch im Fatzer. Wie also sprechen Theater und Kunst von der Not, wenn sie Wirklichkeit dar- oder herstellen? Was erlaubt Not? Was ermoeglicht Lehre? Die Fuenften Muelheimer Fatzer Tage haben sich in diesen Fragenkomplex begeben, um ueber das Lehrstueck als ein fuer gegenwaertiges Theatermachen, fuer die gegenwaertigen sozialen Verhaeltnisse relevantes Modell nachzudenken - bzw. darueber, was die Rollen von Lehren und Lernen im Gegenwartstheater sein koennten und wie es mit der Not umgeht. Eine Koordinate hierfuer kann Fatzer sein: Nicht eine bestimmte Erkenntnis soll durch die Lehre verbreitet, sondern eine bestimmte Haltung der Menschen soll durch sie durchgefuehrt werden." Der fuenfte Band der Muelheimer Fatzerbuecher - Not, Lehre, Wirklichkeit - gibt das Symposium sowie weitergehende ueberlegungen wieder und dokumentiert die waehrend der Fatzer Tage gezeigten Auffuehrungen: die japanische Erstauffuehrung von Fatzer durch die Gruppe Chiten (Kyoto), Fatzer als Grosse Untergangsshow" in der Inszenierung von Alexandra Holtsch (Staatstheater Saarbruecken) und das ueber den Open Call, eigens fuer die Fatzer Tage produzierte Performance-Konzert F++++r Live von: objective: spectacle: (Berlin).