In meinem neuen Buch "Die Götter würfeln nicht" halte ich fiktive Dialoge, zuweilen auch Monologe mit und über Mythen der griechischen Antike. Schon immer haben diese Geschichten uns Menschen bewegt und belehrt. Aber die Zeit wetzte sich an ihnen, wie an Münzen, die von Hand zu Hand gehen. Daher ist es womöglich so weit ihnen neue Bedeutungen und neue Interpretationen zuzuordnen.
"Schreiben ist öffentliches Denken. "Seht her, was ich gedacht habe!" Immer wird sich jemand finden später, der überzeugt ist, diese Sätze, diese Gedanken besser hätte formen zu können. Aber dann ist es zu spät, dann steht die Reihenfolge und die Auswahl fest und darin liegt der Frevel des Schreibers. Das wirft der Leser ihm, wann immer möglich, vor.
Falscher Raum. Falsche Zeit. Zurück noch einmal.
Noch einmal hinaus und vorbei an all den Zeiten, in denen Kinder gezeugt, Mädchen zu Frauen erwachsen und Söhne zu Soldaten, viel zu oft, deren Stiefel die Steine der Straßen wetzen. Keine Klischees, auch keine tragischen. Weiter, durch die Zeit, weiter. Keine Stiefel; Sandalen sollen es sein und Helden. Helden, Sandalen, Götter und Mythen.
Also doch Klischees. Halt andere nur. So kann es werden. So kann man das Unaussprechliche erträglich schreiben. Das Unerträgliche abstrakt machen und verdaulich für den Verstand.
Kein "Ja, aber..." sollte am Ende als Spielraum übrigbleiben. Genauigkeit ist gefragt, wie bei anderem Handwerk auch.
Da ist er der gesuchte Punkt. Ich bin angekommen in der Zeit und im Raum.
Jetzt kommen die Worte rasch und drängen sich in die Sätze. Jetzt lassen sich die Gedanken zu Texten formen und in Reihe bringen. Es wird, was es werden soll, oder besser werden kann, und die Seiten füllen sich.
Ich spreche mit Toten, mit Fremden, die dennoch vertraut erscheinen. Wie Bekannte, von denen Bekannte mir erzählten..."
Auszug aus Kassandra: "
Gestraft hatte dich dein Vater für diese Worte. Nicht zuträglich seien sie für Troja, hatte er gesagt. Im Krieg sei die Wahrheit wenig dienlich. Und Zweifel, ob begründet oder nicht, nützen immer nur dem Feind. Du musstest diese Worte lernen, Krieg und Feind und davor noch Überfall. Das schien das wichtigste Wort geworden zu sein in Troja: "Überfall", oder besser "feiger Überfall".
Mit voller Wucht traf dich danach seine Frage, ob du denn den Sieg der Griechen wolltest und den Untergang Trojas. Wie eine Axt traf sie dich und spaltete dir den Verstand. Wie hatte er die Frage nur denken können? Wie hatte er sie dann sogar aussprechen können?
Hatte er deine Liebe zu ihm, zu den deinen, dir in diesem Moment abgesprochen? Wirklich? Ob so, oder anders gestellt, diese Frage brachte dich zum Schweigen für immer. Nie mehr hast du laut dich geäußert gegenüber anderen. Nie mehr hast du dich anderen wirklich anvertraut. Andeutungen, Bruchstücke bestenfalls, um dann sofort wieder zu schweigen."