Das biblisch- christliche Menschenbild findet sich nicht nur in historischen Schulentwürfen wie im Beispiel der Franckeschen Stiftungen, sondern spielt auch heute in vielen sozialen Zusammenhängen eine entscheidende Rolle gerade dann, wenn es darum geht, stabile Richtlinien für Erziehungssysteme in Gesellschaften mit sozialen Brennpunkten und spezifischen Herausforderungen zu finden. In Deutschland beschäftigt sich die Literatur meist nur noch mit Franckes großem christlichen Bildungsentwurf als dem "letzten" großen explizit christlichen Bildungsansatz, obwohl seither weltweit etliche christliche Bildungswerke gerade wegen ihrer Glaubensorientierung einen wertvollen sozialen Beitrag leisten. Genannt seien an dieser Stelle nur "Teen Challenge ", ein Werk, daß sich um Rehabilitation und Ausbildung von bisher weltweit 60.000 Jugendlichen engagiert, und die Metro Church in Brooklyn, New York, wo sich dreihundert teils vollzeitliche teils ehrenamtliche Mitarbeiter für die Ausbildung von 20.000 Kindern und Jugendlichen einsetzen. Außerdem entstanden im 20. Jahrhundert unzählige christliche Sozialwerke, welche weltweit Schulen auf christlicher Grundlage ins Leben riefen. Oft waren bei diesen Projekten praktische Überlegungen ausschlaggebend, zumeist die Not oder der Bedarf in den jeweiligen Ländern. Es gibt viele Motive für pädagogisches Engagement. Der christliche Glaube ist ein Motiv, welches bei der Gründung der Emmanuel Christian School in Südafrika, an der ich als Lehrerin für die Fächer Musik, Bibelkunde, Geschichte, Naturwissenschaften, Sport und darstellendes Spiel in den Klassen 4 bis 12 arbeitete, eine besondere Rolle spielte. Ihre christliche Überzeugung gab den Lehrern die Kraft, trotz zunächst heftigen Widerstandes des Apartheidregimes eine Schule zu gründen, welche später von der Regierung Nelson Mandelas als vorbildliches Modell ausgezeichnet wurde, da sie Kindern aller ethnischer Gruppen gemeinsam einen erfolgreichen Schulabschluß ermöglicht. Diese Schule wird im zweiten großen Teil meiner Arbeit als Modell für eine mögliche interkulturelle Schule auf christlicher Basis dargestellt. Ich möchte die Chancen christlich orientierter Erziehung im Kontext sozialer Heterogenität, insbesondere von Multikulturalität, untersuchen. In der Einleitung möchte ich zunächst einen nachmodernen Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen werfen, der es im späteren Verlauf meiner Arbeit vereinfachen wird, multikulturelle Integration im Zusammenhang mit christlichem Glauben und religiösen Bildungsangeboten als Optionen in einer Kultur der Vielfalt zu verstehen. Ähnlich wie Franckes Stiftungen hier in Halle entwickeln sich viele christlich orientierte Bildungs- und Sozialwerke aus der Verantwortung der Gläubigen, die sie angesichts sozialer Notstände empfinden. Die entwickelten Lösungsansätze für Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen versuchen, ein von der Bibel begründetes Menschenbild zu realisieren, welches grundlegend von den Erkenntnissen des christlichen Menschenbildes über Ziel und Sinn des menschlichen Zusammenlebens geprägt ist. Ich habe im Rahmen meines Studiums an der Emmanuel Christian School in Südafrika unterrichtet und für meine Diplomarbeit Forschungen durchgeführt. Diese fließen in diese Arbeit mit ein. Außerdem enthält diese Arbeit einen umfassenden Überblick über die Erweckungsbewegungen des vergangen Jahrhunderts die immer auch mit Bildungsangeboten einhergingen.