Excerpt from Friedrich Christoph Schlosser (Geb. 17. Nov. 1776, Gest. 23. Sept. 1861): Gedächtnissrede zur Feier von Schlossers Hundertjährigem Geburtstag am 17 November 1876 in der Aula der Universität Heidelberg Gehalten

Wenn wir die Gedenktage unserer grossen Kunstler und Dichter feiern, so bringt ein Jeder das Gefühl dessen, womit er selbst bei dieser Feier be theiligt ist, in vollem Herzen mit sich; er ist sich der Einwirkungen bewusst, welche die Werke des Gefeierten auf sein inneres Leben ausgeübt haben und noch üben; in immer wiederholtem Genuss sind sie ihm gleichsam ein stets Lebendiges und Gegenwärtiges, und eine festliche Feier bei gegebenem Anlass ist nur wie eine einmalige Zusammenfassung und Steigerung aller der Empfindungen von dankbarer Verehrung und Bewunderung, die auch den täglichen Lauf des Lebens verschönern und erwärmen.

Bei dem Gedenktag eines grossen Gelehrten, eines wissenschaftlichen Schriftstellers ist das Verhältniss ein anderes. Wie bedeutend auch immer sein Einfluss auf Zeitgenossen und Nachfahren gewesen sein mag, das gött liche Geschenk ewig junger Gegenwart ist seinen Werken nicht verliehen, wie denen der künstlerischen Inspiration; eine kurze Spanne Zeit nur, und sie erscheinen uns in ihrem Werth, in ihrer Beziehung zu uns selber ver ändert und bedingt, durch geistige Gegenwirkungen, durch die Resultate weitergeführter Arbeit, durch den steten Wechsel der Zeit und der Fragen, die sie uns nothigt und zugleich lehrt an die Dinge zu richten. Was von einem solchen Leben und Wirken überdauert, das ist nur in seltenen Fallen das volle Ganze, wie es einst in der Erscheinung stand; zumeist sind es doch nur einzehae glänzende Steine, die eingefügt sind in das vielfarbige Mosaik unseres geistigen Daseins, und wollen wir, bei festlichem Anlass, uns jenes eimnal wieder vor die Seele stellen, so gilt es ein sich Besinnen, ein Zusammenfügen der noch erhaltenen und lebendig wirksamen Elemente mit denen, die der Fortgang der Entwickelung, fill immer oder auch viel leicht nur für den Augenblick, bei Seite geschoben hat.

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