Es war ein ausgesprochen schwüler Sommer. Messungen im Juli hatten eine relative Luftfeuchtigkeit von über 70% ergeben, was für den Norden Europas Extremwerte bedeutete, die in der Geschichte der Klimaaufzeichnungen einmalig waren. Der Erklärungen gab es viele, aber Abhilfe kaum. Die Fliegen vermehrten sich wie nie zuvor. Wie immer in solchen Fällen kursierten über die Ursachen dieser Vermehrung viele Theorien. Eine davon lautete, dass eine Explosion sie aus der Musca Australis, der Fliege, ein Sternbild des südlichen Sternenhimmels, ins All katapultiert habe und dass sie als Meteorit die Erde erreicht hätten.Das Orchester spielte "La Valse" von Maurice Ravel. Eine Apotheose des Wiener Walzers im Nachkriegseuropa des 1. Weltkriegs. Walzer tanzende Paare, über denen ein Schleier liegt. Die Schleier lösen sich auf und man blickt in die Wirklichkeit. Zuerst ist es noch dynastischer Glanz, der die Szene erhellt. Dann treten die ersten Dissonanzen ein. Das Stück endet in einem Ausbruch von Gewalt und Chaos. Es war eine neu einstudierte Ballettfassung des Orchesterwerkes, die das Ensemble der Landesbühne heute zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorstellte. Die Mitglieder des Balletts trugen auf dem Kopf eine Nachbildung der kürzlich auf dem im Schloss gegebenen Maskenball prämierten Fliegenmaske - und hatten natürlich Flügel, die sich im Walzertakt und schließlich im Stakkato des Finales orientierungslos bewegten.Der heutige Premierenabend war ausverkauft.In den veröffentlichten Medien war kritisiert worden, dass diese Fassung von "La Valse" nach der komischen Oper "Der Fliegenkrieg" schon das zweite Bühnenwerk der Saison sei, das sich mit der Fliegenplage befasse und dass das Thema dadurch etwas überbeansprucht werde, wie es der zuständige Redakteur der Lokalzeitung in einem Artikel ausdrückte - schließlich gehe das Leben weiter, trotz Fliegenplage.Im Jahre 1595 brach eine Flotte holländischer Schiffe auf, um unter dem Kommando von Cornelis de Houtman den Seeweg zu den sagenhaften Gewürzinseln zu finden und Handelsbeziehungen zu knüpfen. Der Navigator auf einem der Schiffe hieß Pieter Dirkszoon Keyser. Er hatte von dem Kartenzeichner Peter Plancius den Auftrag erhalten, auf dieser Expedition die Positionen der hellen Sterne des Südhimmels zu vermessen. So vermaß Keyser während der Fahrt über den Indischen Ozean die Positionen von 135 Sternen. Später legte er daraus zusammen mit Frederick de Houtman, dem Bruder des Leiters der Expedition, zwölf neue Sternbilder fest. Eines davon nannten sie "Die Fliege".Von diesem Vorfahren hatte Peter Keyser, Gastronom und Betreiber des Restaurants "Der Schwan", keine Ahnung. Doch einem Reporter der Lokalzeitung war in seinem Namen die holländische Schreibweise aufgefallen, und er hatte, der Neugier folgend, die einen guten Reporter auszeichnet, den Namen Keyser gegoogelt. Er verabredete mit Peter Keyser ein Interview, und einige Tage später erschien in der Lokalzeitung ein Artikel unter der Überschrift "Peter Keyser - Nachfahre des Entdeckers der "Fliege" - Ein Sternbild am südlichen Sternenhimmel.Seitdem war der Name Peter Keyser in aller Munde, und "Der Schwan" erlebte einen ungeahnten Aufschwung.Aber mit dem Aufschwung kamen die Fliegen, als hätten sie geahnt, dass "Der Schwan" eine fette Beute sei. Und Peter Keyser musste nachrüsten: Fliegengitter vor alle Fenster des Restaurants und im Speisesaal die Installation mehrerer Fliegenfänger. Aber die Invasion der Fliegen hielt an. Sie fielen zwar jeden Tag zu Hunderten den Fliegenfallen zum Opfer, aber die Attraktionen, die sie im Restaurant erwarteten, waren stärker als ihr Selbsterhaltungstrieb.Und Peter Keyser sah sich gezwungen, sein Restaurant zu schließen, jedenfalls bis er eine Möglichkeit gefunden hatte, dieser Plage Herr zu werden.