About the Book
Wirtschaftskriminalitat dringt in der modernen Industrie- und Kommunikationsgesellschaft immer weiter vor. Dieser Eindruck kann jedenfalls entstehen, sieht man sich die Publikationen in den verschiedenen Medien uber die letzten Jahre und Jahrzehnte hinweg an. So ist es nicht verwunderlich, dass die Bekampfung der Wirtschaftskriminalitat immer wieder spatestens aber seit Beginn der siebziger Jahre verstarkt auf der Agenda des Gesetzgebers steht. Die Vorgange um die Hammer Bank, die Conterganaffare, die Flick-Affare, die Metallgesellschaft, die Waffenexporte durch deutsche Chemiefirmen in den Irak, der Skandal um die Wertpapiere der DG-Bank, der VW-Devisenskandal, Balsam, Barings, BCCI, die fast schon gewerbsmassige Beihilfe deutscher Banken zur Steuerhinterziehung, die vereinigungsbedingte und Treuhandkriminalitat, Peter Graf, Schneider, die Sparkasse Mannheim, die CDU - Spendenaffare, der Zusammenbruch des FlowTex Imperiums, der Leuna Skandal, oder auch die aktuellen Vorgange um die Bankgesellschaft Berlin. Die Schadensschatzungen der kleinen und grossen Wirtschaftskriminalitat reichen von mindestens 50 Mrd. DM bis zu 600 Mrd. DM pro Jahr. Andererseits werden die meisten der bekannt gewordenen Wirtschaftsdelikte schnell wieder vergessen. Es sind einfach zu viele. Ein so schillerndes und wichtiges Thema wird naturlich auch durch die Wissenschaft bearbeitet. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es eine breit gestreute Literatur uber diesen Themenkreis gibt. So beschaftigen sich Juristen, Kriminologen, Soziologen und Psychologen mit den Teil-aspekten der Wirtschaftskriminalitat, die ihre Disziplin beruhren. Betriebswirte werden insbesondere auf dem kleinen und sehr speziellen Feld der Zahlungsunfahigkeit und der Uberschuldung tatig. Andere Gebiete werden aber nicht als Tatigkeitsgebiet Wirtschaftswissenschaften erkannt, sondern falschlicherweise von anderen Disziplinen (z.B. Jurisprudenz) fur sich reklamiert und speziel-len Berufsgruppen (z.B. Wirtschaftsprufer, Steuerberater, Rechtsanwalte) zugeschlagen. Der Grund fur die scheinbare Vernachlassigung des Themas Wirtschaftskriminalitat wissenschaftlich umfassend bearbeiten zu konnen, sind nicht nur Kenntnisse auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaft erforderlich. Selbst hier reichen detaillierte Kenntnisse der Volkswirtschaftslehre nicht aus, sondern notig sind auch Kenntnisse der Betriebswirtschaftslehre. Auch die Einarbeitung in die strafrechtlichen Aspekte reicht nicht aus. Es sind daruber hinaus privatrechtliche Kenntnisse, z.B. in Gesellschafts- und Handelsrecht, Wertpapierrecht, im Verwaltungsrecht, im Steuer- und Abgabenrecht, dem Subventionsrecht, den Wirtschaftsverordnungen, Schuldbeitreibung und Insolvenzrecht zwingend erforderlich. Diese Kombination von Wissens- und Wissenschaftsgebieten findet sich in den wenigsten Fachdisziplinen. Festzuhalten bleibt, dass das Handeln der Wirtschaftssubjekte auf dem Gebiet der Wirtschaft in den erklarten Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaften fallt. Somit musste auch das kriminelle Handeln der Wirtschaftssubjekte in den Erkenntnisbereich der Wirtschaftswissenschaften gehoren. Neben der Tatsache, dass das Thema Wirtschaftskriminalitat durch Juristen, Soziologen und Betriebswirte besetzt erscheint und dass bei der Bearbeitung des vielgestaltigen Themas eine strikte fachgebundene Analyse in klassischen okonomischen Fachern nicht moglich ist, erklaren die Schwierigkeiten bei der Modellbildung und die weitgehende Abstinenz der Volkswirtschaftslehre beim Thema Wirtschaftskriminalitat. Eine systematische Auseinandersetzung, die sich nicht an vordergrundigen und zum Teil populistischen Forderungen orientiert, fehlt derzeit noch. Es mangelt nach wie vor an systematischen Vorarbeiten sowie empirisch verlasslichen Daten, obwohl inzwischen eine Vielzahl von Buchern uber Wirtschaftskriminalitat zu verzeichnen ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Moglichkeiten und Grenzen der Okonomie bei der Erklarung einzelner Phanomene. Die unterschiedlichsten Einflussfaktoren, die Wirtschaftskriminalitat charakterisieren, lassen sich generell wohl nicht in einem Modell zusammenfassen. Andererseits mussen die Grundlagen fur eine "Theorie der Wirtschaftskriminalitat" in theoretischer und anwendungswissenschaftlicher Hinsicht geschaffen werden. Diese Arbeit versucht einen ersten Schritt in dieser Richtung, indem man sich auf einzelne Tatbestande konzentriert und sie ausgewahlten okonomischen Analysen unterzieht. Die Initialzundung fur die okonmische Erforschung der Kriminalitat ist untrennbar mit dem Namen Gary S. Becker verbunden. Obwohl sich Becker in zwei kurzeren Aufsatzen im Rahmen der Okonomie des Alltags auch mit Wirtschaftskriminalitat befasst hat, blieben seine Ausfuhrungen fur diesen Forschungsbereich weitgehend bedeutungslos. Allerdings sind die Annahmen des Becker`schen Modells fur die Wirtschaftskriminalitat zu restriktiv, um eine befriedigende Erklarung fur das Phanomen Wirtschaftskriminalitat bieten zu konnen. In der "okonomischen Analyse der Wirtschaftskriminalitat..." wird daher ein institutionentheoretischer Ansatz gewahlt. Im Zentrum der Betrachtungen stehen die wirtschaftsstrafrechtlichen Normen als gesellschaftliche Ordner. Es wird gezeigt, welche Bedeutung Normen fur das Individuum und die Gesellschaft haben. Betont wird, dass weder der methodologische Individualismus der Wirtschaftswissenschaften noch der holistische Ansatz der Soziologie eine befriedigende Erklarung fur das Phanomen Wirtschaftskriminalitat bieten konnen. Vielmehr wird eine synergetische Position bezogen, die die selbstorganisatorischen Beziehungen zwischen wirtschaftsstrafrechtlichen Normen, Individuum und Gesellschaft in den Vordergrund stellt. Ausgehend von der allgemeinen Rezeption der Wirtschaftskriminalitat bzw. ihren Auswirkungen wird zunachst die Frage der Definition der Wirtschaftskriminalitat diskutiert. Hier wird deutlich, dass es fur verschiedene Wissenschafts- und Arbeitsbereiche unterschiedliche Definitionen gibt, die ihrerseits zu Schwierigkeiten bei der interdisziplinaren Bearbeitung des Themas Wirtschaftskriminalitat fuhren. Als erstes wesentliches Ergebnis wird zum Zwecke der Arbeit eine Definition der Wirtschaftskriminalitat aus okonomischer Perspektive entwickelt. Obwohl relativ weit gefasst, so gibt sie doch den Okonomen eine Handhabe, sich in allgemeiner Form dem Problem der Wirtschaftskriminalitat zu nahern. Die okonomischen Termini wie Informationsasymmetrie, Marktleistung oder Transferverpflichtung bilden Aquivalente zu den juristischen Begriffen wie Tauschung und Schaden. Demnach stellt sich Wirtschaftskriminalitat als ein Nicht-Wert-Aquivalenztausch aufgrund von Informationsasymmetrien dar, wobei die Informationsasysmmetrien hergestellt oder derartig ausgenutzt werden, so dass eine (Wirtschafts-) Strafnorm verletzt wird. Anschliessend werden im Rahmen einer interdisziplinaren Betrachtungsweise die Besonderheiten der Wirtschaftskriminalitat ausfuhrlich erlautert. Dabei wird der Leser in die Lage versetzt, alle wesentlichen Determinanten der Wirtschaftskriminalitat sowohl aus rechtlicher als auch tatsachlicher Sicht kennenzulernen. Dabei werden sowohl Probleme der Quantifizierung der materiellen und immateriellen Schaden, die Motive der Wirtschaftsstraftater, die Bestimmung der Personlichkeitsmerkmale des Wirtschaftsstraftaters sowie formal juristische Probleme des Wirtschaftsstrafrechts angefuhrt. Das Ergebnis dieses Abschnitts ist, dass die Wirtschaftskriminalitat und das Wirtschaftsstrafrecht nicht mit sonstiger Kriminalitat zu vergleichen ist. Aus dem Beziehungsgeflecht der unterschiedlichen Aspekte wird dann eine historische Perspektive formiert. Der Bogen wird von den ersten schriftlich uberlieferten Rechtsquellen bis zur heutigen Zeit gespannt. Endpunkt der historischen Perspektive bildet die Beschreibung der Vereinigungskriminalitat als Sonderform der Wirtschaftskriminalitat. Die historische Perspektive zeigt auf, wie sich politisches System, soziales System und okonomisches System im Rechts- und Wirtschaftssystem spiegeln. Dabei bilden wirtschaftsstrafrechtliche Vorschriften eine Marginalbetrachtung, die Ruckschlusse auf die jeweilige Konstitution und deren elementaren Komponenten zulassen. Jedes System flankiert seine Ordnung durch bestimmte Strafbestimmungen im wirtschaftlichen Bereich, die seine Besonderheiten abbildet. In der kondensierten Situation der deutschen Wiedervereinigung konnte der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Handlungsweise uns wirtschaftstrafrechtlicher Sanktion besonders gut nachvollzogen werden. Paralell zu den historischen Entwicklungen sind auch die wissenschaftlichen Bemuhungen einzelner Fachdisziplinen um Erkenntnisse aus dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechts bzw. der Wirtschaftskriminalitat zu sehen. Insbesondere die Soziologie und die Kriminologie haben Konzepte und Erkenntnisse bezuglich der Wirtschaftskriminalitat im Rahmen der Theorien des abweichenden Verhaltens. Auch die juristische Wissenschaft beschaftigt sich aus ihrer Sicht mit Beitragen zu verschiedenen Straftatbestanden. Die durch die Okonomen entwickelten Instrumente konnen auf die Wirtschaftskriminalitat ubertragen werden. Angewendet wurden die Arbeitsweisen der evolutorischen Okonomik und der Institutionentheorie. Im speziellen Teil der Arbeit werden Korruption, Subventionen, Bankrott und Insolvenzverschleppung und Anlagebetrug okonomischen Betrachtungen unterworfen. Das Thema Korruption wurde auch von Okonomen behandelt. Ein Erklarungsansatz Becker`scher Pragung muss vor dem multifaktoriellen Hintergrund der konkreten Korruptionssituation versagen. Vielmehr mussen synergetisch die korruptionsrelevanten Determinanten betrachtet werden. Diese betreffen die jeweiligen politischen Systeme, die internalisierten moralisch-ethischen Werte, aber auch -nicht ausschliesslich- eine personliche Kosten-Nutzen-Risiko-Analyse des Individuums. Es wurde insbesondere an den Beispielen des Nationalsozialismus und dem Sozialismus der DDR deutlich, dass totalitare Systeme, trotz des Anspruchs Korruption zu bekampfen und hart zu bestrafen, besonders korruptionsanfallig sind. Die Strafbarkeit des Bankrotts lasst sich in unterschiedlichen Facetten bis in das romische Recht zuruckverfolgen. Der Marktaustritt ist integraler Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Der ordnungsmassige Austritt des insolventen Unternehmers ist entweder durch den Markt oder den Staat zu gewahrleisten. Die Informationsverteilung im Markt fuhrt dazu, dass der Markt diese Funktion nicht ubernehmen kann. Dementsprechend kann gefolgert werden, dass die Eingehung unternehmerischer Risiken nicht nur zivilrechtlich flankiert werden kann sondern auch strafrechtlich sanktioniert werden muss. Die strafrechtliche Losung erweist sich aus okonomischer Sicht nicht als second- best Losung, sondern als notwendiger Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Subventionen nehmen als Wirtschaftslenkungsinstrument eine immer breitere Stellung ein. Dabei entsteht zwischen dem juristischen Begriff des Zweckverfehlungsrisiko und dem okonomischen Begriff der Zweckverfehlung ein Spannungsverhaltnis. Denn selten konnen die mit den Subventionen politisch verfolgten Ziele auch okonomisch gemessen werden. Nach dem Masstab der Okonomie erfullten die meisten Subventionen bereits bei der Vergabe das juristische Kriterium der Zweckverfehlung. Als wesentliches Ergebnis dieses Abschnittes ist die Forderung einer genauen Messung der Subventionswirkung und deren Veroffentlichung zu sehen. Dazu mussen die makrookonomischen Variablen der subventionsgebenden Stellen einheitlich erfasst werden. Auf der anderen Seite sollten die mikrookonomischen Wirkungen ebenfalls gemessen werden. Die internationale Rechnungslegung dringt immer weiter vor und die International Accounting Standards sehen Berichtspflichten fur Unternehmen vor, die fur diese Zwecke genutzt werden konnten. Die Aufgabe des Staates fur Vertrauen im Wirtschaftsverkehr zu sorgen wurde im Bereich des Anlagebetruges besonders hervorgehoben. Die Komplexitat der Kapitalmarkte hat dazu gefuhrt, dass die zum Schutz der Kapitalmarkte eingefuhrten Strafnormen auf verschiedene Gesetze aufgeteilt sind. Erst unter der definitorischen Zusammenfassung auf die grundlegenden Determinanten des Anlagebetruges ergibt sich ein Bild, dass wieder auf die allgemeine Definition der Wirtschaftskriminalitat zuruckgreift und fur den Fall des Anlagebetruges zuspitzt. Dann wird deutlich, dass eine Grenze zwischen dem legitimen Ausnutzen einer Informationsasysmmetrie und der (psychologischen) Schaffung einer solchen im Zusammenhang der Tater - Opfer Interaktion existiert. Die Erkenntnis, dass am Ende einer langen Rechtstradition die wirtschaftsstrafrechtlichen Normen in der heutigen Form stehen, fuhrt zu der Hypothese, dass diese Regelung die effizienteste Losung zum Problem der Einhaltung der wirtschaftlichen Normen ist. Dies gilt es aber weiter theoretisch zu belegen. Die evolutorische Entwicklung der Strafrechtsnormen ist nicht abgeschlossen, weder durch das kodifizierte Recht noch durch das Richterrecht. Ausloser fur solche Anderungen sind unterschiedlicher Natur, aber immer mit okonomischen Hintergrund. Erreicht eine Kriminalitatsform einen kritischen Schwellenwert, wird reagiert. Das Interessante an dem Rechtsbildungsprozess ist das Wechselspiel von individueller und kollektiver Reaktion auf soziale Phanomene, das im Strafrecht und insbesondere im Wirtschaftstrafrecht seine Entsprechung findet. Die Anzahl der wirtschaftsstrafrechtlichen Normen ist fast unuberschaubar. Allein aus dem Fundus der strafrechtlichen Normen ergeben sich neue Ansatze fur die okonomische Forschung. Dazu bieten sich die unterschiedlichsten Delikte an. Aus dem Kernstrafrecht sind dies insbesondere der Betrug (S 263 StGB) und die Beitragsvorenthaltung (S 266 a StGB). Bei den Recherchen zu dieser Arbeit haben sich aber auch interessante Ansatze zu den okonomischen Fragen der Zollkriminalitat ergeben. Die Gesellschaft befindet sich auf dem Weg zur Informationsgesellschaft. Die Wirtschaft ist im Wandel. Die sogenannte "new economy" bringt auch im Bereich der Wirtschaftskriminalitat neue Herausforderungen fur Wissenschaft, Strafverfolgungsbehorden, Gesellschaft und Staat. Neue Interaktions- und Transaktionsformen produzieren schon jetzt neue Kriminalitatsformen, die erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Wirtschaftssubjekte und Wirtschaftssektoren nehmen konnen. Noch mehr als die normale Wirtschaftskriminalitat alter Pragung werden diese neuen Kriminalitatsformen das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem auch international auf die Probe stellen. Auch in diesem Bereich sind die Okonomen aufgerufen, mit ihren Erkenntnissen zu der Bewaltigung bestehender und zukunftiger Probleme beizutragen.