Jemand sitzt in einem Café, schreibt und sieht durch das Fenster auf den Regen, die feucht glänzende Straße, vor der Ampel haltende Autos, die Abgase wie Dampf ausstoßenEr liest kritisch die letzten Zeilen, die er geschrieben hat: Als sie an meinem Grab stehen, haben sie es alle kommen sehen - sein einsames Ende, und sie denken, dass er es nicht anders verdient hat. Es ist ein eher symbolisches Begräbnis. Nur ein Grabstein ohne Leiche. Ein Schreiben der Friedhofsverwaltung ist aus dem fernen Land gekommen, in dem er gestorben ist. Alle sind froh, dass man sie nicht mit den Formalitäten behelligt hat. Eine Überführung hätte außerdem viel Geld gekostet. Und wer wäre für die Kosten aufgekommen?Die Trauergemeinde stemmt sich auf dem Weg zum Nachkaffee, gegen einen heftigen Wind. Und bis zum Eintreffen im Café haben alle genug damit zu tun, Hüte und Frisur gegen den Angriff der Natur zu schützen. Erst nachdem die erste Tasse Kaffe eingeschenkt ist, bricht der Damm.Hilde macht den Anfang: "Ob er für sein Begräbnis gesorgt hat? Ich möchte zu gern wissen, wer die Kosten getragen hat." Eine starke Falte gräbt sich in die Stirn, über der Nasenwurzel. Ein Zeichen, dass sie angestrengt nachdenkt. Dann ist sie zu einer Entscheidung gekommen."Denn er konnte nie mit Geld umgehen," sagt sie schließlich und sieht sich, nach Zustimmung suchend, um.Hilde ist meine ältere Schwester. Und sie hat so unrecht nicht. Jedenfalls ist meine derzeitige Situation die eines gestrandeten Schiffes. Ich sitze auf dem Trockenen, und meine pekuniären Aussichten sind rabenschwarz.Heute hatte ich eine Unterredung mit dem Pfarrer der Gemeinde Santa Marta. Es hat nicht geringer Überredungskünste bedurft, ihn von meinen "guten" Absichten zu überzeugen. Doch schließlich hat die Aussicht auf eine angemessene Spende ihre Wirkung nicht verfehlt, und der Pfarrer hat sich bereiterklärt, meinen Verwandten die traurige Nachricht von meinem Ableben zu übermitteln. Wahrscheinlich wird Hilde (sie ist in solchen Dingen immer sehr aktiv) als erstes den Familienanwalt aufsuchen, bei dem ich vor vielen Jahren ein Testament hinterlegt habe. Als Erben nennt es meine nächsten Angehörigen. Ich selbst werde dafür sorgen, dass die Familie mit separater Post die Rechnung über die Kosten für den Bau des Mausoleums und die Beisetzungsfeierlichkeiten erhält. Die Zahlung wird auf ein Konto erbeten, das ich eigens für diesen Zweck unter dem Namen einer Firma eingerichtet habe: "Roca & Hnos. - Instalaciones de Cementerio y Servicios Funerarios."Mit der Zusendung der Rechnung werde ich noch einige Wochen warten. Bis die Ablehnungsfrist für das Erbe verstrichen ist. Vorsicht ist, wie man weiß, die Mutter der Porzellankiste.Wut, Empörung, Entrüstung und Entsetzen werden sich in meiner Familie ausbreiten wie ein Tsunami. Doch letztendlich werden sie zahlen. Vielleicht weniger aus juristischem Zwang als aus Pietät oder, was wahrscheinlicher ist, um einen Skandal zu vermeiden. Im Geiste habe ich schon ausgerechnet, wer wie viel zahlen wird. Olaf, meinem reichen Bruder, werden die anderen den Löwenanteil aufbürden. Gegen den erbitterten Widerstand von Anne. Für den Rest wird es einen familieninternen Spendenaufruf geben.Haben sie sich sicher schon bisher den Mund über mich zerrissen, werden sie mich jetzt zweifellos hassen. Und sogar die Antichristen unter meiner Familie werden ihren Glauben an die Hölle wiederentdecken und Gott anflehen, an mir keine der Qualen, die das Fegefeuer verspricht, auszulassen, wenn irgendwann die zweite Rechnung über die Kosten meiner wirklichen Beerdigung bei ihnen eintrifft (das wird allerdings hoffentlich noch einige Jahre dauern). Dazu fällt mir ein Aphorismus ein, den ich irgendwo gelesen habe: "Liebe ist der Morgen der Tugend, Hass der Abend der Sünde. Amen."