Excerpt from Blindheit und Blindenwesen, Vol. 8

Von Bedeutung ist endlich der Unterschied zwischen Blind sein und Blindwerden. Die zu der ersteren Kategorie zu rech nenden, die Blindgeborenen oder in frühester Kindheit Er blindeten, die also nie oder so gut wie gar nicht das Licht der Welt erblickt haben, wissen gar nicht, was sie alles durch den Mangel ihres Gesichtssinnes entbehren müssen, werden also naturgemä� unter ihrem Zustand weniger leiden als die im späteren Alter Erblindeten, für die der Verlust des Sehens mit Recht als ein gro�es, wenn nicht das grö�te Unglück gilt. (vgl. Schiller, Wilhelm Tell: Sterben ist nichts, doch leben und nicht sehen, das ist ein Unglück! V. Helmholtz: Unter allen Sinnen des Menschen ist das Auge immer als das liebste Geschenk und als das wunderbarste Erzeugnis der bildenden Naturkraft betrachtet worden. Dichter haben es besungen, Redner gefeiert, Philosophen haben es als Ma�stab für die Leistungsfähigkeit organischer Kraft gepriesen, und Physiker haben es als unübertreffliches Vorbild optischer Apparate nach zuahmen versucht. Als der härteste Verlust nächst dem des Lebens erscheint uns der Verlust des Augenlichts. Albrecht v. Graef e: Nicht der Preis des Dichters, nicht die Farbe des Malers sind der tiefste Ausdruck dessen, was das Licht der Augen uns bedeutet, sondern das stumme Sehnen derer, die es einst besessen und verloren haben.) Haben sich die Blind gewordenen aber an ihren Zustand gewöhnt und erfreuen sie sich sonst körperlicher und geistiger Gesundheit, so treffen wir unter ihnen, namentlich wenn sie in nicht zu kummer lichen äu�eren Verhältnissen leben, eine gro�e Reihe, die durch eine gewisse zufriedene Abgeklärtheit und "ruhige Heiterkeit ihres Wesens auffallen. Sie bilden häufig den Mittelpunkt an geregter Gesellschaft gerade im Gegensatz zu den Ertaubten, die durch die Unmöglichkeit, sich an der Unterhaltung zu be teiligen, auf sich allein angewiesen sind, sehr mi�trauisch und griesgrämig werden und, auf jede Geselligkeit verzichtend, die Einsamkeit suchen.

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